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Ereignisse und Kämpfe in Kurort Hartha zwischen Ende April und 8. Mai 1945

Veröffentlicht: 24.05.2023 / Aktualisiert: 27.04.2024

Am 6. und 7. Mai 1945 fanden im Raum Wilsdruff – Tharandter Wald heftige Kämpfe zwischen der Roten Armee und deutschen Truppen statt, die im Zusammenhang mit der Sicherung des deutschen Rückzugs auf die sogenannte Reseda-Stellung auf dem Erzgebirgskamm standen. „Offensichtlich sollte die Schlinge um Dresden möglichst lange offen gehalten werden, viele wollten sich noch in westliche Richtung absetzen“ 1, so ein Zeitzeuge. Nach dem Fall von Wilsdruff, das von der aus Meißen kommenden Roten Armee am 7. Mai eingenommen wurde, geriet auch Kurort Hartha in das Kampfgeschehen.2 Im Ort kündigte sich bereits am 5. und 6. Mai 1945 „das Nahen des Krieges durch immer stärker werdenden Geschützdonner an. […] Tiefflieger kontrollierten die Bewegungen auf den Straßen des Ortes, zuerst englische, dann sowjetische. […] Im Ort und vor allem am Rande des Tharandter Waldes bereiteten sich SS-Angehörige und Einheiten der Wehrmacht auf die nächsten Kämpfe vor.“ 3, so der Zeitzeuge weiter. Der Landrat und viele andere flüchteten aus dem Ort.4

Zusätzlich zu den bereits zuvor stationierten deutschen Einheiten5 übernahmen in Kurort Hartha Teile des Panzerregiments „Frundsberg“ die Verteidigung. Dessen Stab richtete sich im „Lindenhof“ ein. Kräfte der 20. Panzerdivision „Frundsberg“ bezogen bei Tharandt 200 Meter über dem Tal Position, von wo aus sie das Gelände weithin einsehen und unter Beschuss nehmen konnten.6 Am südwestlichen Ausgang des Dorfes wurde bei der Kreuzung der Freiberger zur Dorfhainer Straße im Wald ein Flakgeschütz aufgestellt, welches von sechs Hitlerjungen bewacht worden sein soll.7

Kurort Hartha, Kreuzung am südwestlichen Ortsausgang. Im Wald bei der Kreuzung, leicht rechts der Bildmitte, befand sich das mutmaßlich von Hitlerjungen bewachte Flakgeschütz. Fotografie 2023.

Ereignisse am 7. Mai 19458

In den frühen Morgenstunden des 7. Mai 1945 wurden die beim Harthaer Buchenweg einquartierten Flaksoldaten plötzlich alarmiert und brachen eiligst auf.9 Bereits am frühen Vormittag stießen dann starke Panzerkräfte der Roten Armee vom Landberg aus über Spechtshausen nach Kurort Hartha vor.10 Während der mit dem Vorstoß verbundenen Gefechte wurden am Landberg zwei Soldaten der Wehrmacht getötet. In Spechtshausen beschädigten deutsche Panzerjäger durch ihr Abwehrfeuer ein Eckhaus mit Ladengeschäft. Ein dort auf die Felder ausweichender sowjetischer Panzer wurde von Fördergersdorf aus beschossen und außer Gefecht gesetzt, während zwischen Spechtshausen und Kurort Hartha ein sowjetischer Mannschaftstransportwagen der deutschen Gegenwehr zum Opfer fiel.11

Bereits gegen 9.30 Uhr begannen in Kurort Hartha die Panzergefechte und Häuserkämpfe, die sich vor allem im Bereich zwischen Kurplatz und Hartheberg zutrugen. Dort wurden zwei sowjetische Panzer und ein deutscher Panzer angeschossen. Die sowjetischen Angreifer sollen auch bis zum Lindenhof vorgedrungen sein, wurden jedoch zurückgeworfen. Im Laufe des 7. Mai gelangten immer mehr Einheiten der Roten Armee in den Ort. Vermutlich bis in die darauffolgende Nacht hielten die Gefechte mit den deutschen Truppen an.12

Blick vom Buchenweg in Kurort Hartha auf das Areal am Hartheberg (Bildmitte), wo sich am 7. Mai 1945 das Zentrum der Kämpfe befand. Fotografie 2023.

Die Menschen in der Ortsmitte waren unmittelbar von diesen Kämpfen betroffen. Viele mussten ihre Häuser verlassen. So kamen in das Haus einer Zeitzeugin, gegenüber des damaligen Gemeindeamtes, am 7. Mai Soldaten der Waffen-SS und veranlassten die dort wohnenden Frauen und Kinder, das Gebäude zu räumen und in den Keller zu gehen. Da dieser viel zu klein für alle war, ging die Zeitzeugin mit ihrer Mutter zu Bekannten auf die heutige Schillerstraße. Die Kämpfe erlebte sie im dortigen Keller. Sie erinnerte sich daran, dass etwa am späten Nachmittag des 7. Mai die Schießerei losging, „nicht nur Gewehre, ordentlich Krach“. Das ging ein paar Stunden die ganze Nacht durch.13

Im Zusammenhang mit den Kämpfen des 7. Mai starb eine 44-jährige Anwohnerin des Buchenweges und ihr sechsjähriger Sohn. Nach einer Darstellung hatten die deutschen Verteidiger ihr Aufhängen weißer Wäsche als Zeichen der Kriegsmüdigkeit gedeutet und eröffneten das Feuer, wobei die beiden durch Granatsplitter getötet wurden.14 Ihr Tod könnte mit einem Aufruf des sächsische NS-Gauleiters und Reichsstatthalters Martin Mutschmann vom 16. April 1945 im Zusammenhang stehen. Darin beschwor er die Bevölkerung zum „Widerstand und Kampf bis zum Letzten“ und drohte, dass jede „Feindbegünstigung, sei es die Annahme von Geschenken, das Heraushängen weißer Tücher aus den Fenstern oder irgendeine Anbiederung an den Feind […] Landesverrat [ist] und wird mit dem Tode bestraft“15.

In der Abenddämmerung des 7. Mai, etwa gegen 20.30 Uhr, begann der Abmarsch der deutschen Streitkräfte mit Pferdewagen auf der Talmühlenstraße Richtung Tharandt. Etwa zur selben Zeit zog die Waffen-SS in Gruppen von circa zehn Mann aus Fördergersdorf ab.16 In Kurort Hartha hielten die Gefechte trotz des Abzugsgeschehens bis gegen 22.30 Uhr an. Nach deren Abflauen zogen die deutschen Panzer dann im Schutz der Nacht ebenfalls über die Talmühlenstraße in Richtung Tharandt ab.17

Ereignisse am 8. Mai 1945

Vom Morgen des 8. Mai 1945 berichtete die Zeitzeugin, die mit ihrer Mutter im Keller eines Gebäudes an der heutigen Schillerstraße ausharrte: „Auf einmal, wohl am Morgen des 8. Mai, kamen Stiefel die Treppe runtergestürzt; ein Russe kam in den Keller und holte einen Mann heraus, der musste mit ihm auf dem Dach ein weißes Betttuch hissen. Noch 1-2 Schläge zu hören, dann war Totenstille.“ 18

Gegen 10 Uhr rollte der erste sowjetische Lkw aus Richtung Tharandt kommend, zunächst bis zur Harthaer Talmühle, dann weiter ins Dorf. In kurzen Abständen folgten weitere Lkws, die alle Richtung Kurplatzareal durchfuhren.19

Drohende Zerstörung eines Harthaer Ortsteils

An den Kämpfen im Ort waren vermutlich auch Volkssturm-Leute beteiligt, das heißt Jugendliche und ältere Männer, die als „letzte Reserve“ die dezimierte Wehrmacht unterstützten.20 Als Vergeltung für diesen Widerstand wollte die Rote Armee den gesamten bäuerlichen Dorfkern vom Sägewerk bis zum Buchenweg sprengen. Die betroffenen Häuser wurden markiert und waren zur Plünderung freigegeben. Die Einwohnerschaft flüchtete, teils zum wiederholten Mal, in die Nachbardörfer oder in den Wald nahe der Waldschänke.21„Die erste Nacht verbrachten wir in einer Kuhle auf blanken Waldboden. Wie haben wir gezittert, als in dieser Nacht die Russen ihren Sieg feierten. Mit viel Leuchtraketen und schrecklichem Gegröle lief die Siegesfeier in der Nacht vom 8.9.5.1945 und wir hilflos und voller Angst mitten im Wald.“ 22, so schrieb eine Zeitzeugin später.

Die Sprengung konnte durch Dorle Schubert, die Miteigentümerin des „Erbgerichts“ abgewendet werden. Da sie während der NS-Zeit als „Halbjüdin“ gegolten hatte, bekam sie Zugang zum Kommandanten der Roten Armee. Mit Unterstützung des baltendeutschen Ehepaars Baumann, die die Verhandlungen übersetzten, überzeugte sie ihn, auf die Zerstörung des Ortsteils zu verzichten.23 Nach etwa einer Woche konnte die Bewohnerschaft wieder in ihre geplünderten und verwüsteten Häuser zurückkehren.24 An den Einsatz von Dorle Schubert erinnert heute eine Tafel am „Erbgericht“.

Todesopfer

Bei den Gefechten kamen außer den Soldaten beider Seiten auch mehrere Bewohnerinnen und Bewohner des Ortes ums Leben. Ihre genaue Zahl ist bislang nicht bekannt, da nur ein Teil der Opfer im Sterbebuch erfasst bzw. nur ein Teil der Toten überhaupt gefunden wurde. Allein im Umfeld des Kurplatzes sollen sieben deutsche Soldaten und neun der Roten Armee gefallen und zunächst auf dem Kurplatz, an der Parkstraße und hinter dem Kurhaus bestattet worden sein. 1951 wurden im Zuge von Umbettungen insgesamt 28 Grabstandorte im Ortsgebiet und direkt angrenzendem Wald kartiert.25

Rückseite des Kurhauses Kurort Hartha. Dort waren bis 1951 elf Soldaten der Roten Armee, die bei den Gefechten am 7. Mai 1945 gefallen waren, bestattet. Fotografie 2023.

Zu den Toten der letzten Kriegstage in Kurort Hartha gehören vermutlich auch sechs fünfzehn- und sechzehnjährige Hitlerjungen, die im „Soldatengrab“ im Wald nahe der Freiberger Straße bestattet sind. Sie sollen die Flakstellung an der Freiberger Straße Ecke Dorfhainer Straße bewacht haben und dort wohl im Wald getötet worden sein, möglicherweise in der Nähe ihres heutigen Grabes. Die genauen Todesumstände, zu denen verschiedene Geschichten vorliegen sind, sind bislang ebenso unklar, wie die Frage, auf welchem Wege die Jungen, die aus Dresden, Borna und Liegau-Augustusbad kamen, in die Gefechte im Tharandter Wald gerieten.26

Möglicherweise stehen die Toten auch im Zusammenhang mit einem Ereignis, das gemäß einem Zeitzeugen schon etwas eher stattgefunden haben soll: Der damals 16-Jährige Dresdner schrieb in seiner Autobiographie, dass die Panzerjäger-Kompanie, der er angehörte, Ende April 1945 in einem ehemaligen Steinbruch zwischen Tharandt und Kurort Hartha ihr Lager aufbaute. Die Einheit bestand demnach aus kurz zuvor in einem Wehrlager ausgebildeten Jugendlichen und einem Leutnant. Sie waren nur mit Fahrrädern ausgestattet und beweglich gemacht worden. Ihre Aufgabe war es, in der Nähe stehende Panzerkräfte der Roten Armee anzugreifen und zu vernichten. Ein 11-köpfiger Spähtrupp der Einheit wurde schon am Tag der Ankunft während eines Erkundungsganges auf einer Lichtung mit Granatwerfern beschossen und neun Jugendliche schwer getroffen. Nur der Leutnant und der Zeitzeuge überlebten. Daraufhin zog die Kompanie gen Tharandt ab. Der Zeitzeuge erwähnte unter den Toten namentlich seinen besten Freund Horst Sterzel und somit einen der Jungen, der laut Holzkreuz im Grab der sechs Hitlerjungen bestattet ist.27

Auch wenn die Datierung des Vorfalls auf Ende April 1945 zu hinterfragen ist, da Einheiten der Roten Armee erst ab 6. Mai 1945 aus ihrem Bereitstellungsraum bei Riesa nach Süden vorstießen, sprechen die Freundschaft zu einem der Todesopfer sowie die Beschreibung des ehemaligen, nur etwa 180 Meter vom Grab der sechs Hitlerjungen entfernten Steinbruchs dafür, dass das Ereignis stattgefunden hat – wenn auch womöglich später.

Ehemaliger Steinbruch südlich der Freiberger Straße bei Kurort Hartha. Links im Bild der mögliche Lagerort der Panzerjäger. Der Steinbruch war laut einem Luftbild vom Frühjahr 1945 zu der Zeit noch freiliegend. Fotografie 2023.

Anmerkungen

1. G. J. 1995, S. 1. /// 2. Vgl. Steinecke 2020 (2012), S. 4. Siehe auch den Beitrag „Der Tharandter Wald wird Anfang Mai 1945 Kriegsschauplatz“. /// 3. G. J. 1995, S. 1. Mit den „SS-Angehörigen“ sind höchstwahrscheinlich Soldaten der Waffen-SS gemeint. Laut einer Zeitzeugin lagerten im Wald hinter der Harthaer Siedlung, an der Dorfhainer Str. 8, deutsche Soldaten, die angeblich Teile der Armee von General Schörner waren. Laut W. S. 2015, S. 2. /// 4. Vgl. Dörschel 1965. /// 5. Siehe den Beitrag „Militarisierung von Kurort Hartha zwischen 1944 und Mai 1945“. /// 6. Vgl. Steinecke 2020 (2012), S. 5. Die Angabe Gerhard Steineckes, wonach es sich bei der im Lindenhof einquartierten Einheit um das Panzerregiment „Großdeutschland“ gehandelt habe, ist insofern unwahrscheinlich, da dieses zu der Zeit im Kurlandkessel kämpfte. /// 7. Vgl. Steinecke 2020 (2012), S. 6. Die Position des Flakgeschützes wird auch durch eine Fotografie vom Februar 1946 belegt: Fotografien Krönert 1945/46, Foto 2, „2 cm Flak 38 der Wehrmacht“. /// 8. Die Ereignisse der Kämpfe in Kurort Hartha am 7. Mai 1945 werden in den vorliegenden Berichten teils früher datiert, etwa am 6. Mai 1945 bei Dörschel 1965, teils später am 8. Mai 1945, etwa bei G. J. 1995. Die vorliegende Darstellung folgt weitgehend der Abfolge nach Steinecke 2020 (2012). /// 9. Vgl. Steinecke 2020 (2012), S. 3. /// 10. Vgl. Ders., S. 4 und etwas abweichend Fleischer 2004, S. 138. Demnach erreichten die sowjetischen Panzer erst in den Mittagsstunden des 7. Mai den Rand des Tharandter Waldes. /// 11. Vgl. Steinecke 2020 (2012), S. 4 und Fleischer 2004, S. 138. /// 12. Vgl. u.a. Steinecke 2020 (2012), S. 5 und laut T. P. nach 1995. /// 13. Interview Ehepaar Müller 2022. /// 14. Vgl. Steinecke 2020 (2012), S. 6. Vgl. auch den Eintrag im Sterbebuch, wonach die beiden „in Kurort Hartha gefallen / von einem Granatsplitter getroffen“ wurden. KA-SOE, 60-31, StB Fördergersdorf, Nr. 16, Einträge Nr. 32f. /// 15. Aufruf Martin Mutschmann vom 16.4.1945. Zit. in: Zeidler 2016, S. 175. /// 16. Vgl. Steinecke 2020 (2012), S. 6. /// 17. Vgl. ebendort und Dörschel 1965. /// 18. Interview Ehepaar Müller 2022. /// 19. Vgl. Steinecke 2020 (2012), S. 7. /// 20. Laut Interview C. Punsch 2022. /// 21. Laut W. S. 2015, S. 6 und vgl. Steinecke 2020 (2012), S. 7. /// 22. Laut W. S. 2015, S. 6. /// 23f. Laut W. S. 2015, S. 7 und laut Baumann 2021, S. 1. Vgl. zum Ehepaar Baumann den Beitrag „Umsiedlung einer Rigaer Familie nach Poznań und ihre Flucht Anfang 1945 in den Kurort Hartha“. /// 25. Laut Kaiser 1951. /// 26. Vgl. Steinecke 2020 (2012), S. 6, wonach die Hitlerjungen nach einer Version in der Nähe der Waldhäuser durch einen sowjetischen Scharfschützen getötet wurden, nach einer anderen durch einen Volltreffer. /// 27. Vgl. Hanitzsch 1995, S. 34f. /// Wir danken Robert Oeding für wertvolle Hinweise und Einschätzungen zu den militärischen Ereignissen und beteiligten Einheiten.