Sachsen wurde noch in den letzten Kriegswochen Schauplatz teils heftiger Bodenkämpfe.
Am 12. April 1945 betraten US-amerikanische Truppen bei Crimmitschau und Pegau erstmals sächsisches Gebiet. Nach letzten, bis 20. April andauernden Kämpfen gegen Einheiten der Wehrmacht und des Volksturms beim Völkerschlachtdenkmal wurde auch Leipzig befreit.1
Zur südlichen Deckung der „Berliner Operation“ – der Operation der 1. Ukrainischen Front gegen deutsche Gegenangriffe – überschritten die 2. polnische Armee und die 52. sowjetische Armee am 16. April 1945 die Lausitzer Neiße mit Stoßrichtung Niesky – Bautzen – Dresden. Für die 2. polnische Armee entwickelten sich die Gefechte vom 21. bis zum 26. April 1945 zu den verlustreichsten des Zweiten Weltkriegs.2
Nach dem Ende der Schlacht um Berlin am 2. Mai 1945 begann die Rote Armee mit der „Prager Operation“. Ziel der letzten großen Militäraktion der Roten Armee im Zweiten Weltkrieg war es, die deutsche Heeresgruppe Mitte des Generalfeldmarschall Schörner durch drei Fronten einzukesseln und zur Kapitulation zu zwingen. Dazu erfolgte eine Umgruppierung der Truppen und ihre Bereitstellung im Raum Riesa. Die Operation dauerte vom 6. bis 11. Mai 1945. Gleichzeitig begann am 5. Mai 1945 der „Prager Aufstand“ gegen die deutsche Besatzungsmacht. Im Rahmen der „Prager“ Operation besetzten Verbände der 1. Ukrainischen Front bis zum 8. Mai das sächsische Territorium östlich der Vereinigten Mulde. Dresden wurde am 8. Mai vollständig von der Roten Armee besetzt, der Erzgebirgskamm bei Zinnwald am Morgen des 8. Mai überschritten. Zuvor kam es im Raum Schmiedeberg zu verlustreichen Gefechten. Mit der deutschen Kapitulation am 8. Mai 1945 war auch in Sachsen der Zweite Weltkrieg offiziell beendet. Bei den Kämpfen um Sachsen starben bis zu 100 US-amerikanische Soldaten, 18.000 bis 20.000 Rotarmisten und polnische Soldaten sowie bis zu 8.000 deutsche Soldaten.3
Im Zusammenhang mit der „Prager Operation“ wurde auch die Gegend des Tharandter Waldes Anfang Mai Kriegsschauplatz. Das herannahende Geschehen bemerkten die Menschen schon eher, wie eine Mohornerin in ihren Erinnerungen schrieb: „Mitte April wurde die Situation immer schwieriger. Vom Osten her rückte die sowjetische Front immer näher und vom Westen her die Alliierten. […] Aber seit Mitte April bewegte sich an der Westfront nichts mehr, der Amerikaner stand […] ca. 50 km von Mohorn entfernt. Und er stand und stand und der Russe rückte immer näher.“4
Anfang Mai 1945 wurde der Tharandter Wald Durchzugsgebiet deutscher Truppen. So rollten am 3. Mai 1945 erste Einheiten der 20. Panzerdivision von Dresden über Freital in Richtung Tharandt. Sie wurden zur Stabilisierung der Lage westlich von Dresden aus dem Raum Großdittmannsdorf – Würschnitz abgezogen. Nach einem Gegenstoß nach Norden zog die Division über den Tharandter Wald via Grillenburg Richtung Freiberg am 6. Mai gänzlich aus dem „Verteidigungsbereich Dresden“ ab.5
Offenbar gab es auch nördlich des Tharandter Waldes größere Militärbewegungen. Schon am 4. Mai notierte der Oberlehrer und Chronist Kühne zum Geschehen in Wilsdruff: „Die Meißner/ Bahnhofstraße ist ein einziger Heereszug. Marschierende Kolonnen, Gepäckwagen, Geschütze, Trecker! Alles hinaus nach Herzogswalde, Freiberg!“6
Der Oberbefehlshaber der Heeresgruppe Mitte, Generalfeldmarschall Schörner, hob Anfang Mai den „Verteidigungsbereich Dresden“ auf und bildete aus allen dazu gehörigen, 20.000 Mann umfassenden Einheiten das „Armeekorps Gilsa“ unter dem Kommando der Heeresgruppe Mitte, 7. Armee. Das „Armeekorps Gilsa“ bekam den Befehl, aus dem Stadtgebiet abzuziehen und sich zum Kamm des Erzgebirges zu bewegen. Nachdem sich schon am 5. Mai erste Verbände in Bewegung gesetzt hatten, setzte am Folgetag, dem 6. Mai, eine große, teils chaotisch verlaufende Fluchtwelle des deutschen Militärs ein, der sich zivile Trecks anschlossen.7 Der Abzug Richtung Erzgebirge führte auch durch die Ortschaften am Tharandter Wald. Dort stationierte Einheiten zogen ebenfalls ab, etwa aus Spechtshausen mit Lastwagen und aus Grillenburg eine dort stationierte Funkeinheit sowie die im Schloss untergebrachte SS.8
Am Nachmittag des 6. Mai begannen Angriffe der Roten Armee auf die deutsche Verteidigungslinie. Einheiten der 10. SS-Panzerdivision „Frundsberg“ fochten erfolgreich entlang der Linie Kesselsdorf – Wilsdruff und konnten die Angriffe der Roten Armee zunächst abwehren. Die deutschen Truppen setzten sich im Verlauf des Nachmittags und des Abends des 6. Mai 1945 aus der Gegend nördlich des Tharandter Waldes und den westlichen Dresdner Stadtbezirken nach Süden ab. Auch die östlich von Wilsdruff stehenden Teile der 10. SS-Panzerdivision „Frundsberg“ erhielten am Abend einen Abmarschbefehl, um über Tharandt, Kurort Hartha, Dorfhain, Höckendorf auf Dippoldiswalde nach Teplice (Teplitz) zurück zu gehen.9
Ein damals 13jähriger Zeitzeuge sagte später zur Situation in Tharandt in diesen Tagen: „Zeitweilig war dann Tharandt voll mit Armee auf dem Rückzug.“ 10
Ebenfalls am 6. Mai wurde der Räumungsbefehl für Wilsdruff erteilt. Die Zivilbevölkerung sollte die Stadt verlassen,11 damit die Streitkräfte ohne Rücksicht auf diese nach militärischen Erfordernissen agieren und kämpfen konnte. In den Ortschaften des Tharandter Waldes stellte sich auch ohne Räumungsbefehl die drängende Frage, „Gehen oder bleiben?“12. Viele Menschen ergriffen aus Angst vor der Roten Armee die Flucht, etwa in Colmnitz, Grillenburg, Kurort Hartha, Mohorn, Spechtshausen und Tharandt. Größtenteils waren es Frauen mit Kindern und einige Männer, die alles zurückließen und sich in der Umgebung oder im Wald versteckten, teils auch weitere Entfernungen zurücklegten.13 Insofern vermischten sich die nach Süden strömenden Militärkolonnen zunehmend mit Flüchtenden aus den Ortschaften, es kam zu Staus und Verkehrsblockaden.14
Mit ihrem am Morgen des 7. Mai 1945 wieder aufgenommenen Angriff stieß die Rote Armee über die Reichsautobahn in Richtung des Tharandter Waldes zum Erzgebirgskamm vor, den sie bereits gegen 7 Uhr erreichte, wodurch der Rückzugsweg der aus Dresden zurückflutenden Verbände gefährdet wurde.15
Ebenfalls am frühen Morgen des 7. Mai 1945 wurde am südöstlichen Rand des Tharandter Waldes bei Edle Krone der am Vorabend dorthin verlegte Stab und Gefechtsstand der Divisionsgruppe Lüdecke von sowjetischen Truppen überrollt und musste in den Raum Dippoldiswalde ausweichen.16
Im Zusammenhang mit diesen Ereignissen entwickelten sich am 7. Mai 1945 unter anderem auf der Linie Wilsdruff – Tharandter Wald heftige Kämpfe, von denen nahezu alle Orte des Tharandter Waldes betroffen waren, im besonderen Kurort Hartha.17 Bereits am Abend des 7. Mai 1945 gelangten Einheiten der 3. Gardepanzerarmee, die einen Stoßkeil der Roten Armee zur Umgehung von Hindernissen und Widerstandszentren bildete, bis in den Raum Klingenberg – Beerwalde südlich des Tharandter Waldes.18
[Mitarbeit an Text und Karte: Robert Oeding]
Anmerkungen
1f. Vgl. Groß 2012, S. 279f. /// 3. Vgl. ebenda, S. 280, Zeidler 2017, S. 184, Schulz 2008, S. 204f. und Hartung 2008, S. 262. /// 4. Weise 2010, S. 17. /// 5. Vgl. Kowanda 1998, S. 19. /// 6. Kühne 2015, S. 141. /// 7. Vgl. Schulz 2008, S. 203, Fleischer 2004, S. 115 und Zeidler 2017, S. 184f. Und laut Schildbach 2021, S. 2. /// 8. Laut Büttner 1946, S. 1. und laut J. H. 1945, S. 1. /// 9. Laut Schildbach 2021, S. 3. /// 10. Interview G. Krönert 2022. /// 11. Vgl. Kühne 2015, S. 143. /// 12. Interview Herr B. 2022. /// 13. Laut den Interviews Frau S. 2022, Herr B. 2022, Frau M. 2022, Ehepaar Wagner 2022, A. Lampadius 2022 und C. Punsch 2022 sowie laut Büttner 1946, S. 1 und W. S. 2015. /// 14. Laut Schildbach 2021, S. 3f. /// 15f. Vgl. Steinecke 2020 (2012), S. 3. /// 17. Vgl. ebenda, S. 4. Siehe zu dem Geschehen in Kurort Hartha den Beitrag „Ereignisse und Kämpfe in Kurort Hartha zwischen Ende April und 8. Mai 1945“. Weitere Militärhandlungen im Gebiet des Tharandter Waldes im Mai 1945 werden in späteren Beiträgen behandelt. /// 18. Vgl. Schulz 2008, S. 204f. /// Anmerkung zur Karte: Die Militärbewegungen sind aus Gründen der Übersichtlichkeit sowie aufgrund lückenhafter Daten stark vereinfacht dargestellt. Sie zeigen die grundlegenden Bewegungsrichtungen und-räume und bei vorliegenden genaueren Informationen auch kleinere Verläufe.