Suche schließen

Ankunft und Station des Todesmarschs aus dem KZ-Außenlager Neu-Staßfurt in Kurort Hartha am 20. April 1945

Veröffentlicht: 18.04.2023 / Aktualisiert: 20.04.2023

Während am 11. April 1945 das Konzentrationslager Buchenwald durch die Amerikaner befreit wurde, mussten die Gefangenen des Buchenwalder Außenlagers Neu-Staßfurt am selben Tag einen Todesmarsch antreten. Die etwa 700, teils jüdischen französischen Männer mussten zunächst neun Tage über Delitzsch, Bad Düben und Lommatzsch bis nach Riemsdorf südlich von Meißen laufen. Von Riemsdorf brachen sie am 20. April 1945 auf und gelangten an diesem Tag nach dem Marsch über Wilsdruff in die Gegend des Tharandter Waldes.1

Dort führte ihr Weg von Fördergersdorf nach Kurort Hartha, wo sie am Buchenweg ankamen.2 Wie für viele andere Teile der Route so ist auch der genaue Verlauf dieser Strecke unklar. Der Weg ab Fördergersdorf über das Feld zum Buchenweg Kurort Hartha wäre am leichtesten und mit etwa zwei Kilometern am kürzesten gewesen. Allerdings sprechen die drei im Abstand von einigen 100 Metern aufgefundenen Toten an der Talmühlenstraße und Zeitzeugenerinnerungen3 für die reichlich sechs Kilometer weite und beschwerlichere Variante über Tharandt. Denkbar ist allerdings auch, dass verschiedene Marschgruppen unterschiedliche Wege einschlugen, denn die „Häftlinge kamen in einzelnen Gruppen an, etwa noch nach einer Stunde schleppten sich vereinzelte Häftlinge hinterdrein“4, wie ein Augenzeuge im September 1945 zu Protokoll gab. Dieser berichtete auch davon, einzelnen Gefangenen Brot gegeben zu haben.5

Der Todesmarsch machte dann Station in der heute nicht mehr existenten Feldscheune des Folgengutes in Kurort Hartha. Der Besitzer des Gutes, Arno Paul, sagte im September dazu aus: „Eines Tages, wohl Anfang April 1945, kamen auf mein Gut ein Transport Sträflinge, die hier übernachten wollten. Es waren wohl 500 Mann, die Wachmannschaft soll aus 65 Mann bestanden haben. Die Häftlinge kamen in einem trostlosen Zustande hier an, barfuß, teils in Pantoffeln, ließ sich einer von dem anderen mit fortschleppen. Viele konnten kaum noch gehen. Ich habe in der Feldscheune eine Lagerstatt aus Stroh hergerichtet, wo die 500 Mann geschlafen haben, auch ein Teil der Wachmannschaft.6 Ein Teil der Wachmannschaft übernachtete in Wohnungen von Privatleuten.7 Ob der Gutsbesitzer die halbverhungerten und kaum noch marschfähigen Gefangenen durch das Kochen zusätzlicher Kartoffeln tatsächlich unterstützt hat, wie er aussagte,8 ist nicht nachweisbar. Vermutlich am 20. April oder in der Nacht wurden die drei französischen Gefangenen Clément Poirier, Pierre Sauzet und Maurice Violet nahe des Diabas-Steinbruchs an der Talmühlenstraße erschossen. Ein weiterer Toter – Pierre Henin – lag am Folgetag bei der Feldscheune. Er starb vermutlich infolge von Schwäche oder Krankheit.9

Links: Buchenweg in Kurort Hartha, an dem die Gefangenen des Todesmarsch ankamen. Rechts: unterer Teil der Talmühlenstraße in Kurort Hartha unweit des Fundorts der drei erschossenen Gefangenen. Fotografien 2020.

Die vier Toten wurden auf dem Friedhof in Fördergersdorf anonym begraben. Der dortige Totenbettmeister gab im September 1945 folgendes zu Protokoll: „Zu mir kamen eines Tages [zwei Männer] aus Kurort Hartha und brachten 4 tote Sträflinge auf einem Tafelwagen, die beerdigt werden sollten. Sie stammten von dem Häftlingstransport, der Hartha passiert hatte. Ich habe zusammen mit [zwei Helfern] das Grab hergerichtet, die Toten hineingelegt und ordnungsgemäß das Grab geschlossen. Die Toten liegen paarweise übereinander in einem Grab. Das Grab der Häftlinge ist bei den sogenannten Urnengräbern errichtet worden und zwar an der Friedhofsmauer der Nordseite, also nicht bei den anderen Gräbern im Mittel des Friedhofes. Namen der Toten sind mir nicht genannt worden, sie wurden als Unbekannte beerdigt. Die Beerdigung erfolgte am 20. April 1945, 19 Uhr.“10

Der örtliche Standesbeamte Reinhold Kaiser beobachtete das Vorgehen unter Lebensgefahr und ermöglichte nach Kriegsende die Umbettung zunächst in den Rudolf-Breitscheid-Park (Stadtpark) Tharandt und 1952 in das heute noch auf dem Tharandter Friedhof erhaltene Sammelgrab mit Gedenkstein.11

Links: Nördliche Mauer des Friedhofs Fördergersdorf, an der die vier Opfer des Todesmarschs am 20. April 1945 bestattet wurden. Rechts: Friedhof Tharandt mit Grabstelle für die dorthin umgebetteten Opfer des Todesmarschs aus Neu-Staßfurt. In dem Grab sind ebenfalls drei Opfer des Todesmarschs aus Markkleeberg bestattet. Fotografien 2020.

Anmerkungen

1f. Vgl. Brenner u.a. 2018, S. 542f. /// 3. Laut Interview Ehepaar Müller 2022. /// 4f. SächsStA, Landesreg. Sachsen, 11391, 994, S. 73, Aussage M. L. Kurort Hartha, 3. September 1945. /// 5. Vgl. ebenda. /// 6. Ebenda, S. 72, Aussage Arno Paul. Kurort Hartha, den 3. September 1945. /// 7. Ebenda, S. 73, Aussage M. L. Kurort Hartha, 3. September 1945 und Aussage G. N. Kurort Hartha, 3. September 1945. /// 8. Ebenda, S. 72, Aussage Arno Paul. Kurort Hartha, den 3. September 1945. /// 9. Vgl. ebenda, S. 72, Aussage P. P. Kurort Hartha, den 3. September 1945; Steinecke 2020 (2012), S. 2. Die Datierung von Pierre Henins Tod auf den 19. April 1945 wirft Fragen auf, da der Tross an dem Tag noch zwischen Raitzen und Riemsdorf unterwegs war. /// 10. 10. SächsStA, Landesreg. Sachsen, 11391, 994, S. 73, Aussage O. T. Fördergersdorf, den 4. September 1945. Vgl. auch ebenda, S. 72, Aussage P. P. Kurort Hartha, den 3. September 1945. /// 11. Vgl. Steinecke 2020 (2012), S. 2 und laut Kaiser 2023, S. 1.
Siehe zu diesem Todesmarsch auch die Beiträge „Todesmärsche ziehen im Frühjahr 1945 durch die Orte des Tharandter Waldes“ und „Weiterzug des Todesmarschs aus dem KZ-Außenlager Neu-Staßfurt von Kurort Hartha Richtung Röthenbach am 21. April 1945“.