Zwischen Mitte Februar und Anfang Mai 1945 befand sich in Grillenburg die provisorische Reichsstatthalterei.1 Somit wurde Sachsen während dieser Zeit vom Tharandter Wald aus regiert.
Der „Sächsische Jägerhof“
Das mitten im Tharandter Wald liegende Grillenburg war seit jeher von Forstwirtschaft und Jagdwesen geprägt. Der Kurfürst August von Sachsen ließ ab Mitte des 16. Jahrhunderts auf den Grundmauern einer vermutlich im 13. Jahrhundert errichteten Jagdpfalz eine kurfürstliche Jagdanlage errichten, die auch als regionaler Amtssitz diente. Im ersten Drittel des 19. Jahrhunderts erfolgte der Abriss der verfallenen Gebäude des Jagdsitzes – des Fürstenhauses, des Jägerhauses und der Fronfeste. Das anfallende Baumaterial fand beim Bau des heute noch vorhandenen Gasthofgebäudes an der Hauptstraße Verwendung. Die umliegenden Teiche wurden mit Ausnahme des heutigen Gondelteichs zugeschüttet. Erhalten blieb nur das Gebäude der sogenannten Schösserei, das seit Mitte des 19. Jahrhunderts zum königlichen Jagdschloss umgebaut wurde.2
Martin Mutschmann, der seit 1934 auch Gaujägermeister war, ließ das Schloss ab 1935 zum „Sächsischen Jägerhof“ aus- und umbauen. Mit dem staatlichen Jagddomizil knüpfte er bewusst an Traditionen repräsentativer fürstlicher Jagdgebäude an. Nach der Einweihung Ende April 1936, bei der auch der Reichsjägermeister Hermann Göring anwesend war, entschloss sich Mutschmann zu der Errichtung weiterer Gebäude. Auf dem Hügel hinter dem Schloss am Standort der alten Jagdpfalz, wo die Landesdenkmalpflege kurz zuvor ein romanisches Kreuzgewölbe freigelegt hatte, entstand zwischen 1938 und 1939 das Gästehaus „Neues Jägerhaus“ nach Plänen des Dresdner Architekturprofessors und Vertreters der „Stuttgarter Schule“ Wilhelm Jost. Es wurde nach Entwürfen von Oswin Hempel durch die Deutschen Werkstätten Hellerau mit Holzvertäfelungen und Intarsien ausgestattet. Im Umfeld wurden ein Fahrerhaus, Garagen und Hundezwinger, eine Kegelbahn, ein Bootshaus, eine Jagdhütte sowie eine Reihe jagdlicher Anlagen im Wald errichtet und im Außengelände des „Neuen Jägerhauses“ drei Tierplastiken aufgestellt. Zu der Anlage gehörte auch ein durch Pioniere der Waffen-SS errichteter Luftschutzbunker.3
Trotz explodierender Kosten begannen etwa zeitgleich mit Baubeginn des „Neuen Jägerhauses“ aufwendige Erdarbeiten in dessen Umfeld mit Dammaufschüttungen, der Wiederanlage der Grillenburger Teiche, darunter auch des heutigen Badeteiches und der zugehörigen Kanäle. Diese Arbeiten wurden bis 1942 mit Straf- und Kriegsgefangenen in Zwangsarbeit weitergeführt.4 Während die Strafgefangenen von auswärts kamen, waren die belgischen und französischen Kriegsgefangenen in der ehemaligen Revierförsterei untergebracht und die sowjetischen Kriegsgefangenen in einem Lager im etwa vier Kilometer entfernten Spechtshausen. Gemäß der Erinnerung einer Zeitzeugin, deren Vater die im Wald eingesetzten Kriegsgefangenen anleitete, mussten diese auch Zwangsarbeit beim Unterhalt des „Sächsischen Jägerhofs“ und bei der Pflege der zugehörigen Anlagen leisten.5
Die Sächsische Reichsstatthalterei in Grillenburg
Nach den Luftangriffen auf Dresden um den 13. Februar 1945 führte Mutschmann seine Dienstgeschäfte als Gauleiter von der Gau-Behelfszentrale im Lockwitzgrund weiter. Die Reichstatthalterei verlegte er vom Ständehaus im Dresdner Stadtzentrum auf den „Sächsischen Jägerhof“ Grillenburg, wohin er wegen der Zerstörung seiner Dresdner Villa mit seiner Frau am 15. Februar 1945 ebenfalls umsiedelte. Begleitet wurde er von 14 Familien des engeren Parteigefolges. Darunter waren der Kreisleiter der Dresdner NSDAP Hellmut Walter und Hitlers Schwager Martin Hammitzsch. In Grillenburg nahm Mutschmann mit dem bisherigen Gauleiter von Köln-Aachen, Josef Grohé, Alfred Rosenberg und Robert Ley auch befreundete NS-Funktionäre auf, die aus dem bereits besetzten Reichsgebiet geflüchtet waren.6
Die Arbeits- und Besprechungsräume der Reichsstatthalterei befanden sich vmtl. hauptsächlich im Schloss, die Unterkunftsräume vmtl. im „Neuen Jägerhaus“ und in den Nebengebäuden. Zur Verteidigung Grillenburgs sollen Soldaten im ganzen Ort und die SS im Schloss einquartiert gewesen sein.7 Von Grillenburg aus kümmerten sich Mutschmann und sein Stab um die Fortführung der Kriegsproduktion, die Zusammenstellung von Volkssturmeinheiten und die Stabilisierung der Lebensmittelversorgung. Er erwies sich dabei „als einer der rücksichtslosesten Durchhaltefanatiker im Rest-Reich“8, indem er – wenn auch vergeblich – versuchte, den Rüstungsstandort Leipzig vor den anrückenden Amerikanern zu verteidigen. Noch im April 1945 ließ Mutschmann ein „Standgericht für Ostsachsen in Bautzen“ einrichten, um renitente Wehrmachtsoldaten und Zivilisten abzuurteilen und Drohungen gegen all jene in Umlauf zu setzen, die sich nicht in den Kampf und Widerstand bis zum Letzten einreihen wollten.9
1. Vgl. Steinecke 2020 (2012), S. 1. /// 2. Vgl. Schmeitzner 2014, S. 102 und laut Informationen des Ortschronisten André Kaiser, E-Mail vom 15.3.2023. /// 3. Vgl. Schmeitzner 2014a, S. 102ff. und laut Informationen des Ortschronisten André Kaiser, Gespräch vom 8.8.2022. /// 4. Vgl. Schmeitzner 2014a, S. 104 und laut Informationen des Ortschronisten André Kaiser, Gespräch vom 8.8.2022. /// 5. Laut Interview Frau S. 2022. /// 6. Vgl. Schmeitzner 2011, S. 49, Ders. 2014a, S. 104 und Ders. 2016a, S. 42. /// 7. Laut J. H. 1945, S. 1 /// 8. Vgl. Schmeitzner 2016a, S. 42. /// 9. Vgl. ebenda, S. 42.