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Fotografische Erkundungen zweier Tharandter Brüder nach Kriegsende

Veröffentlicht: 28.06.2023 / Aktualisiert: 01.05.2024

Viele Zeitzeuginnen und Zeitzeugen, die zum Ende des Zweiten Weltkrieges Kinder waren, verknüpften ganz spezielle Erinnerungen an diese Zeit. Das gilt auch für zwei Brüder aus Tharandt. Sie waren im Sommer 1945 14 und 15 Jahre alt. In den Wochen nach Kriegsende bis mindestens Sommer 1946 unternahmen die beiden „Expeditionen“ mit dem Fotoapparat in die Umgebung, darunter in viele Orte des Tharandter Waldes. „Wir wollten sehen, wo was war. […] Wir hatten uns ja immer interessiert für die Wehrmacht.“1, so erklärte der jüngere der beiden ihre Intention im Interview 2022. Die entstandenen Aufnahmen offenbaren die Neugier der beiden für alles Militärische und liefern wertvolle Informationen zu Grabstandorten und liegen gebliebenem Militärgerät, die ohne die Fotografien heute teils nicht mehr nachvollziehbar wären.

Foto 1: Militärgerät auf dem Gelände der ehemaligen Pastritzmühle bei Tharandt

Das nächstgelegene Ziel zum Wohnstandort der beiden Brüder war die zwischen Tharandt und Freital liegende Ruine der Pastritzmühle, die sich am Standort des heutigen „Fischmarktes Tharandt“ befand. Die Mühle soll auf dem Rückzug von einem Unteroffizier oder Feldwebel der Wehrmacht in Brand gesteckt worden sein. Ein Zeitzeuge, der damals 11 Jahre alt war und in Freital wohnte, erinnerte sich in einem Brief 2023 daran, dass die Mühle am 9. Mai 1945 brannte, als er Flüchtlinge in Richtung Tharandt begleitete.2 Bei dem Brand soll außer den Gebäuden und Maschinen viel ausgelagertes Gut, wie Abschleppfahrzeuge und Möbel sowie 15 Tonnen Hafer und etwa 10 Tonnen Brotgetreide vernichtet worden sein.3

Die Aufnahmen der beiden Tharandter Jungen von der Pastritzmühle entstanden aber viel später, augenscheinlich im Winter. Zu der Zeit diente die Mühlenruine offenbar als Sammelstelle von Kriegsgerät. Neben allerlei Schrott ist im Vordergrund des Bildes ein tschechoslowakischer Panzerkampfwagen 38 (t) zu sehen.4 Auf einer weiteren, hier nicht gezeigten Aufnahme, ist eine 10,5cm leichte Feldhaubitze 18M, das Standardgeschütz der Artillerie der Deutschen Wehrmacht dargestellt, die in dieser Ausführung für Infanterieverbände verwendet wurde.

Möglicherweise ist auf den Aufnahmen der Tharandter Jungen auch jener Panzer abgebildet, den der eben erwähnte 11jährige Freitaler am 9. Mai in Tharandt gesehen hatte: „In Tharandt stand ein Panzer mit offener Luke, Ich bin natürlich sofort hochgeklettert und sah zwei verkohlte Tote darin. Seltsamerweise hat mich das wenig erschüttert – es war interessant.“5 Ebenso wie die beiden Tharandter Jungs war er begeistert von allem Militärischen und geriet beim Spielen mit einem liegengebliebenen deutschen Panzer sogar in eine lebensgefährliche Situation: „Während wir begeistert an den Kurbeln drehten, kam Fliegeralarm. Das war natürlich für uns das Größte: Krieg in natura! Wir kurbelten wie wild und wurden beschossen. Die Granatsplitter hob ich später vom Fußweg auf, und ich kann sie heute noch vorweisen.“6

1 | Links: Ruine der Pastritzmühle zwischen Tharandt und Freital mit Panzerkampfwagen im Vordergrund. Abzug vom 27.1.1946. Fotografien Krönert 1945/46, Nr. 16. Rechts: Standort heute. Fotografie 2023.

Foto 2 und 3: Panzer im Umfeld des Kurplatzes Kurort Hartha

Doch zurück zu den beiden Tharandter Brüdern: In und bei Kurort Hartha dokumentierten die beiden besonders viele Situationen. Darunter sind auch zwei Aufnahmen von sowjetischen Panzern des Typs T-34/85, von denen sich einer am Abzweig des heutigen Eduard-Drechsler-Weges von der Straße „Am Hartheberg“ befand (Foto 2) und ein zweiter vor dem Kurhaus (Foto 3). Beide Panzer stehen mit großer Wahrscheinlichkeit im Zusammenhang mit den Kämpfen in Kurort Hartha am 7. Mai 1945, wobei neben einem deutschen auch zwei Panzer der Roten Armee getroffen wurden und die Besatzungen umkamen.7 Die beiden Brüder hatten aber ein unbekümmertes Verhältnis zu dem Kampfgerät und posierten abwechselnd darauf.

Spuren des Beschusses sind auf den Bildern nicht erkennbar, allerdings fehlende Teile. Das betrifft vor allem den erstgenannten Panzer, von dem die gepanzerte, schräge Heckabdeckung entfernt wurde. Zusätzlich zum leeren Motorraum fehlen auch die Laufräder und die Kette. Da auch weitere Teile nicht mehr vorhanden sind, dürfte auch ein ganzer Teil des Antriebs nebst Getriebe fehlen.

An beiden Panzern sind Warnbaken angebracht, die vermutlich ihrer Markierung als Hindernisse dienten. Ein nahe wohnender Zeitzeuge erinnert sich daran, dass der Panzer von Foto 2 durch eine Panzerfaust zerstört worden sei. Nach Kriegsende wären Soldaten der Roten Armee gekommen, hätten den Panzer zerlegt und den übrigen Teil auf Kiefernstämmen zum Bahnhof nach Tharandt gerollt, wo die Kiefernstämme dann ganz abgenutzt waren.8

2 | Sowjetischer Panzer vom Typ T-34/85 am Abzweig des Eduard-Drechsler-Weges von der Straße „Am Hartheberg“, Kurort Hartha. Abzug vom 3.2.1946. Fotografien Krönert 1945/46, Nr. 15. Rechts: Standort heute. Fotografie 2023.
3 | Links: Sowjetischer Panzer vom Typ T-34/85 vor dem Kurhaus (links im Bild), Kurort Hartha. Abzug vom 3.2.1946. Fotografien Krönert 1945/46, Nr. 13. Rechts: Standort heute. Fotografie 2023.

Foto 4 und 5: Geschütz und Grab im Wald südlich von Kurort Hartha

Die Brüder haben auch jenes, nahe der Siedlung Kurort Hartha im Wald positionierte Flakgeschütz fotografiert, dass zu Kriegsende von sechs Hitlerjungen bewacht worden sein soll und von dem zahlreiche Zeitzeugen berichteten.9 Die Aufnahme zeigte eine im Wald stehende funktionsunfähige 2cm Flak 38, darauf sitzt grüßend und lachend der ältere Bruder.

4 | Links: 2cm Flak 38 der Wehrmacht im Wald bei der Kreuzung Freiberger und Dorfhainer Straße, Kurort Hartha. Abzug vom 3.2.1946. Fotografien Krönert 1945/46, Nr. 2. Rechts: Standort heute, von der Straße aus gesehen. Fotografie 2023.

Wenige 100 Meter entfernt in östliche Richtung haben die Brüder das Grab von sechs getöteten Hitlerjungen fotografiert, das mutmaßlich von den Anwohnern der nahen Siedlung gestaltet wurde. Zu sehen ist ein kleines Grabkreuz, geschmückt mit dem Symbol des Eisernen Kreuzes und Blumenornament und versehen mit den sechs Namen. Heute befindet sich an der Stelle ebenfalls ein Holzkreuz mit aufwendiger Schnitzerei. Die dort begrabenen Hitlerjungen sollen gemäß einigen Erinnerungsberichten die Flakstellung (Foto 4) bewacht haben. Ob das zutrifft ist jedoch genauso unklar, wie die genauen Todesumstände.10

Die sechs getöteten Jungen waren 15 und 16 Jahre alt und somit nur unwesentlich älter als die zwei Tharandter Brüder. Auch der ältere der beiden war noch zum Volkssturm eingezogen worden. Da die Tharandter Einheit jedoch wenige Tage vor Kriegsende aufgelöst wurde, geriet nicht mehr in die Kämpfe zu Kriegsende.11

5 |Links: „Grab der 6 HJ-Jungen bei Tharandt“ im Wald südlich der Siedlung, Kurort Hartha. Ohne Datumsangabe. Fotografien Krönert 1945/46, Nr. 5. Rechts: Grabgestaltung heute. Fotografie 2023.

Foto 6 und 7: Soldatengrab und Panzerbergung auf einem Feld bei Kurort Hartha

Auf einem Feld an der Freiberger Straße in der Nähe des Abzweigs zum Zeisigweg in Kurort Hartha haben die Brüder einen weiteren Bestattungsort fotografiert, das Grab eines Wehrmachtssoldaten. Im Gegensatz zum Grab der sechs Hitlerjungen ist es sehr einfach gestaltet. Es besteht aus einem Kreuz aus Birkenästen und einem Stahlhelm oben auf, was der damals üblichen Form entsprach. Daran angebracht ist ein formularartiger Zettel oder Pappschild. Der Name und die sonstigen Angaben sind nicht lesbar. Der dort bestattete Soldat wurde mutmaßlich später an einen anderen Ort umgebettet. Zu ihm, dem Grab und den Umständen seines Todes ist bislang nichts bekannt.

6 | Links: Grab eines Soldaten der Wehrmacht auf einem Feld bei Kurort Hartha an der Freiberger Straße. Ohne Datum, nach Mai 1945. Fotografien Krönert 1945/46, Nr. 6. Rechts: Ungefährer Standort heute, auf dem Feld links Straße. Fotografie 2023.

Auf dem Feld an der Freiberger Straße nahmen die beiden Brüder unweit des Soldatengrabes ein zweites Foto auf. Es zeigt die Bergung eines sowjetischen Jagdpanzers vom Typ SU-85. Die weiß gestrichenen Straßenbegrenzungssteine legen nahe, dass der Panzer bei einem Ausweichmanöver von der Straße gerutscht sein könnte. Der zu erkennende Holzverbau sollte das Fahrzeug vermutlich stützen, damit es bei der Bergung nicht weiter den Hang hinunterrutscht. Ein zweiter sowjetischer Jagdpanzer scheint schon vorgespannt zu sein (auf dem Foto links neben dem Baumstamm, der das Foto teilt, erkennbar).

7 | Links: Bergung eines Panzers auf einem Feld bei Kurort Hartha, westlich der Freiberger Straße. Ohne Datum, nach Mai 1945. Fotografien Krönert 1945/46, Nr. 12. Rechts: Mutmaßlicher Standort heute. Der auf dem historischen Foto sichtbare Weg und die Straßenbegrenzungspfosten sind heute auch vorhanden, jedoch aufgrund des Bewuchses auf der aktuellen Aufnahme nicht erkennbar. Fotografie 2023.

Foto 8: Rudervergnügen mit einem Floßsack der Wehrmacht auf dem Seerenteich

Die letzte Fotografie, die von den „Exkursionen“ der Brüder vorliegt, ist beschriftet mit „Sommer 1946 Seerenteich“. Zu sehen sind darauf sechs junge Leute – drei Mädchen und drei Jungen – die in einem Schlauchboot beziehungsweise Floßsack sitzen, wobei die zwei hinten sitzenden Jungen rudern. Der hintere der beiden hat eine Art Kapitänsmütze auf. Der Zeitzeuge erinnerte sich daran, dass der Floßsack aus einem in der Nähe liegenden ehemaligen Wehrmachts-Depot stammte und später zurückgegeben werden musste.12 Ob es sich bei dem Depot um ein großes Versorgungslager der Marine für Bekleidung und Verpflegung handelte, was sich bei Tharandt befunden haben soll,13 ist unklar.

8 | Links: „Sommer 46 Seerenteich“. Fotografien Krönert 1945/46, Nr. 1. Rechts: Seerenteich heute. Fotografie 2023.

Der Seerenteich war nicht nur Standort für sommerliches Freizeitvergnügen. Etwa ein Jahr vorher, Ende August 1945, wurde dort eine tote junge Frau gefunden. Die 25jährige Arbeiterin aus Kurort Hartha hatte Selbstmord begangen und wurde auf dem Friedhof Fördergersdorf bestattet.14 Zu der Zeit gab es sehr viele Selbstmorde von Frauen, die zu Kriegsende Opfer von Vergewaltigungen wurden. Ob dies für die Tote vom Seerenteich auch zutrifft, ist bislang nicht geklärt.

Anmerkungen
1. Interview Krönert 2022. /// 2. Laut Lang 2022a und Lang 2022b, S. 2. /// 3. Vgl. Steinecke 2020 (2012), S. 6. /// 4. Die in der Tschechoslowakei ansässige Produktion dieses Kampfpanzertyps kam nach dem Einmarsch der deutschen Truppen 1939 in deutschen Besitz und wurde bis Juni 1942 fortgeführt. /// 5. Laut Lang 2022a. /// 6. Laut Lang 2022b, S. 2. /// /// 7. Siehe den Beitrag „Ereignisse und Kämpfe in Kurort Hartha zwischen Ende April und 8. Mai 1945“. /// 8. Laut Interview Ehepaar Wagner 2022. /// 9f. Wie Anmerkung 7. /// 11f. Laut Interview Krönert 2022. /// 13. Vgl. Rahe 2004, S. 25. Auch in der „Alten Ziegelei“ Mohorn befand sich ein Lager der Marine. Vgl. dazu u.a. Weise 2010, S. 23. /// 14. Vgl. KA-SOE, 610-30, StA Dorfhain, Nr. 25, Sächs. Forstamt Tharandt-Grillenburg, Der Forstmeister an das Standesamt zu Dorfhain, Betr.: Anzeige über die Aufhebung einer Toten im Gutsbezirk Staatsforstrevier Grillenburg, Naundorf, am 31. August 1945.

Die Lokalisierung der Kamerastandorte erfolgte nach den Angaben des jüngeren Bruders (Interview Krönert 2022 und Krönert 2022). Für Informationen zu den abgebildeten Inhalten und zu dem Militärgerät danken wir Robert Oeding und Karsten Krönert.