Suche schließen

Kriegsbedingte Verlegung des Beilstein-Verlags im Februar 1945 nach Tharandt

Veröffentlicht: 22.03.2023 / Aktualisiert: 11.05.2023

Der Berliner Beilstein-Verlag war ein bedeutender Verlag für die Fachwelt der Chemie und gab neben dem „Chemischen Zentralblatt“ wichtige Standardwerke der anorganischen und organischen Chemie heraus, die über viele Jahrzehnte unverzichtbar für die chemische Lehre und Forschung waren.1

Die Redaktionen hatten ihren Sitz damals im sogenannten Hofmannhaus im Zentrum von Berlin. Auf Grund der Bombenangriffe auf Berlin im Frühjahr 1943 und der näher rückenden Front musste die Beilstein-Redaktion evakuiert werden. Sie wurde Ende 1943 zum überwiegenden Teil ins niederschlesische Sobótka, damals Zobten bei Breslau (Wrocław) verlagert. Die Verlagerung erfolgte gerade noch rechtzeitig, denn das „Hofmannhaus“ wurde am 29. Januar 1944 durch Bombenangriffe zu 60 Prozent zerstört.2

Als die Rote Armee Anfang 1945 auf Breslau vorrückte, fragte der leitende Lektor, Friedrich Richter, den Direktor des in Tharandt ansässigen Institutes für Pflanzenchemie und Holzforschung der TH Dresden, ob die Beilstein-Redaktion dort unterkommen könnte. Dieser willigte ein und nach fünftägiger Fahrt kam am 6. Februar 1945 ein elf Meter langer geschlossener 8-Tonnen-Lkw der Heeresgruppe in Schweidnitz mit dem Arbeitsmaterial und fast der gesamten Bibliothek aus Sobótka in den Abendstunden in Tharandt an.3

Die Arbeitsmaterialien der Redaktion wurden in dem Institutsgebäude, heute Stöckhardt-Bau der Fachrichtung Forstwissenschaften der Technischen Universität Dresden in Tharandt untergebracht. Hier wurden auch notdürftige Arbeitsmöglichkeiten geschaffen.4

Stöckhardt-Bau an der Pienner Straße in Tharandt. In dem Gebäude des Instituts für Pflanzenchemie und Holzforschung wurde 1944 der Beilstein-Verlag untergebracht. Fotografie 2023.

Der leitende Lektor mit seiner damals 78-jährigen Mutter sowie die Familie eines Mitarbeiters wohnten im Haus des Institutsleiters direkt gegenüber. Viele weitere Verlagsmitarbeiter wurden in Notquartieren bei Einwohnern von Tharandt untergebracht. Trotz aller Schwierigkeiten ging die Arbeit weiter. Als zusätzliche Sicherung wurde das gesamte Arbeitsmaterial auf Mikrofilmen dokumentiert, die Mitte April 1945 in einem Stollen in Tharandt eingelagert wurden.5

Durch die Verlagerung entging ein Großteil des Materials der Zerstörung, denn das Gebäude in Berlin, in dem der Verlag ansässig war, wurde noch am 1. Mai 1945 von der Wehrmacht in Brand gesteckt. Als nach Kriegsende die Arbeit am Institut unter Schutz der Roten Armee weiterging, konnten auch die Verlagsmitarbeiter bereits ab 19. Mai 1945 ihre Arbeit in Tharandt fortführen. Die Zukunft des Verlags war wegen der strukturellen Probleme der Nachkriegszeit zunächst offen und der leitende Lektor verließ Tharandt im Dezember 1945. Die Stahlschränke mit den Arbeitsmaterialien blieben vor Ort und wurden im Juni 1946 von der Sowjetischen Militäradministration beschlagnahmt und abtransportiert. Dank der eingelagerten Mikrofilme, die die Verlagsmitarbeiter mit Rucksäcken nach Berlin brachten, blieb das Material für die weitere Arbeit erhalten. Anfang 1946 siedelte die Redaktion aus Berlin nach Frankfurt über.6

Als sicherer Ort galt auch das nördlich des Tharandter Waldes gelegene Städtchen Wilsdruff. Dorthin wurde schon am 10. Oktober 1942 die zuvor in Dresden untergebrachte „Ahnenstammkartei des deutschen Volkes“ ausgelagert. Die 1,1 Millionen Karteikarten blieben bis 1945 im Wilsdruffer Schloss.7 Nach der Bombardierung Dresdens im Februar 1945 wurde kurzzeitig die Hauptverwaltung der Landesbehörde „Landesholzgewerbe eGmbH Dresden“ nach Wilsdruff in das Gelände der stillgelegten Ziegelei an der Meißner Straße auslagert, von wo aus für eine gewisse Zeit die Buchhaltung und der Verkauf von Holz, Faserplatten und Tischlereibedarfsartikeln erfolgten.8

Anmerkungen

1.–6. Vgl. Wienhaus O. 2017. /// 7. Vgl. Lettau 2014, S. 68. Die Ahnenstammkartei entstand aus einem seit 1921 organisierten Ahnenlistenaustausch, der seit 1930 durch die Deutsche Ahnengemeinschaft getragen wurde. Im Februar 1938 besichtigte der Reichsführer der SS, Heinrich Himmler das inzwischen von Dresden nach Berlin verbrachte Archiv. Die Fachleute der SS schätzten dessen Wert für den im Nationalsozialismus obligatorischen „Ariernachweis“ jedoch als gering ein, die die Mehrzahl der Daten die Zeit vor 1850 betraf. Deshalb schickte man die Karten nach Dresden zurück. Vgl. ebendort. /// 8. Vgl. ebendort.