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Massenfluchten vor der heranrückenden Ostfront ab Januar 1945

Veröffentlicht: 22.03.2023 / Aktualisiert: 20.06.2023

Ab Ende 1944 flüchteten auch Menschen aus dem Sudetenland und Schlesien vor der heranrückenden Kriegsfront nach Sachsen. Anfang Januar 1945 begann aus diesen Gebieten eine Fluchtbewegung nach oder über Sachsen, die Hunderttausende bzw. gar Millionen Menschen betraf. Auslöser war der Beginn der Weichsel-Offensive der Roten Armee am 12. Januar 1945, die Anfang Februar die Oder erreichte. In den Januartagen 1945 zogen große Trecks aus Ostpreußen, Danzig-Westpreußen, Wartheland und Schlesien bei strengem Frost westwärts. Im Februar 1945 folgten etwa eine halbe Million Menschen aus ostsächsischen Kreisen. Es war kaum möglich, die Kolonnen zu steuern, zu versorgen und unterzubringen.1

Auf Grund seiner Lage mitten im Tharandter Wald war der kleine Ort Grillenburg besonders betroffen. Eine Zeitzeugin erinnert sich in ihren Aufzeichnungen der Nachkriegszeit bereits für Januar 1945 an die Ankunft von Flüchtlingen u.a. aus Nürnberg, dem oberschlesischen Gleiwitz (Gliwice) und Königsberg in Ostpreußen, die eine Unterkunft auf ihrem Gehöft bekamen bzw. im Dorf Quartier fanden.2 Eine andere Zeitzeugin schrieb von wochenlangen Durchfahrten schlesischer Geflüchteter mit Bauernwagen entlang der Dorfstraße. Sie mussten jeden Abend mit großen Schwierigkeiten im Ort untergebracht werden, wenn sie mit Einbruch der Dunkelheit nicht mehr weiterkonnten, da die nächsten Orte aufgrund der Lage Grillenburgs mitten im Wald zu weit entfernt lagen.3

In den größeren Orten wurden zentrale Unterbringungsmöglichkeiten durch die Behörden geschaffen. So verfügte der Meißner Landrat am 29. Januar 1945 für das nahe Wilsdruff die Beschlagnahme des Schulgebäudes am Gezinge zur Unterbringung von Flüchtenden aus dem Osten. Wilsdruff war für weitere 400 Flüchtlinge als ständiger Aufenthaltsort vorgesehen. Zudem wurden, wie seit Wochen vorbereitet, die noch unbelegten Säle des „Goldenen Löwen“ und „Weißen Adler“ zur Aufnahme von Flüchtlingen hergerichtet. Von nun an zogen fast täglich Flüchtlingsströme von nie gesehenem Ausmaß durch und in die Stadt. Am 10. Februar 1945 traf am Schützenhaus ein langer Treck von 40 bis 50 Wagen mit Menschen aus Schlesien ein.4

Die private Unterbringung der Geflüchteten war zu dieser Zeit offenbar noch freiwillig geregelt, wie aus einem Appell des sächsischen Gauleiters und Reichsstatthalters Martin Mutschmann vom 24. Januar 1945 an die sächsische Bevölkerung hervorgeht: „Nehmt […] die Umquartierten aus den gefährdeten Gebieten in dem Gedanken an die von ihnen auch für euch mit dargebrachten Opfer kameradschaftlich auf. Rückt selbst zusammen und bietet ihnen, soweit ihr irgend könnt, für die nächsten Wochen eine Heimat.“ 5

Die genaue Zahl der in den Orten des Tharandter Waldes privat untergebrachten Menschen lässt sich nicht ermitteln – vermutlich kamen sie in jeden Ort und fast jedes Haus. In Spechtshausen nahm beispielsweise eine junge Frau Ende Januar 1945 eine reiche schlesische Mühlenbesitzer-Familie mit fünf Personen in ihr kleines Haus auf, das sie mit ihrem Sohn bewohnte. Kurz darauf kamen fünf weitere Familienangehörige, die ebenfalls da wohnten, aber teils woanders schliefen. Die schlesische Familie blieb bis zum 7. März 1945 und fuhren dann weiter in die fränkische Schweiz.6

Anmerkungen

1. Vgl. Spurný 2008, S. 150 und Jensch o.D. S. 43. /// 2.Laut J. H. 1955, S.1. /// 3. Laut Poch M. o. D., S. 1. /// 4. Vgl. Lettau 2014, S. 191. /// 5. Martin Mutschmann im Pirnaer Anzeiger, 24.1.1945. Reproduziert in Jentsch o.D., S. 43. /// 6. Büttner 1946, S. 1.